Trotz bewußt komponierter Härten und trotz einer durchgehend spröden Klanglichkeit, die Bartóks Violinsonaten eigen sind, kann man sich der von diesen Werken ausgehenden Faszination nur schwerlich entziehen. Im Falle der vorliegenden Einspielung trifft dies um so mehr zu, als hier verschiedene günstige Umstände zusammentreffen, die dem Reiz und der Ausstrahlung jener Sonaten zu besonderer Wirkung verhelfen.
Da wäre zunächst die akustische Klarheit der Aufnahme zu nennen, die eine ideale Wiedergabe der extremen Variationsbreite von Dynamik, Klangfarbe und Tongebung beider Solistinnen ermöglicht. Dies mag mit dem besonderen Aufnahmekonzept des MDG-Labels zusammenhängen, das von dem Anliegen geleitet ist, die "natürliche Akustik speziell ausgesuchter Konzerträume" ohne technische Manipulationen wiederzugeben und so eine Aufnahme mit genauer Tiefenstaffelung, originaler Dynamik und natürlichen Klangfarben zu erreichen. Der bisweilen sich einstellende Eindruck, daß sich das Klavier dynamisch in den Vordergrund schiebt, wird dabei durchaus nicht als störend empfunden und entspricht vielleicht eher der "natürlichen" Klangbalance als eine Wiedergabe, die die Violine mittels aufnahmetechnischer Klangmanipulation hervorzuheben versucht.
Die feinste dynamische und klangliche Nuancen berücksichtigende Aufnahmetechnik kommt sowohl dem Klangraffinement Bartókscher Musik als auch deren Interpretation durch die beiden erstklassigen Solistinnen Ida Bieler und Nina Tichman in idealer Weise entgegen. Bartóks melodische Behandlung der Violine zeichnet sich durch Extreme aus, die sich von bizarren, weitgespannten Intervallschritten bis zum Pendeln auf ein und demselben, auf verschiedenen Saiten gegriffenen Ton bewegen. Spröde Monodien - passagenweise schweigt die Klavierbegleitung gilt es auszugestalten; derbe, in Doppelgriffen sich bewegende und zu rasendem Tempo sich steigernde Tanzcharaktere verlangen ein Höchstmaß an Kraftentfaltung. Die Klavierstimme, der Bartók durchgehend anderes motivisches Material zuteilt als der Violine, hat perkussiv-rhythmische oder akkordisch-flächige Passagen in Dynamik und Anschlag mit dem motivisch unterschiedenen Charakter der Violinstimme in Einklang zu bringen. Hierbei zaubern Ida Bieler und Nina Tichman! Was den Vortrag beider Solistinnen interpretatorisch verbindet, ist eine bis ins Unendliche reichende Nuancierung der leisen und weicheren Elemente der Sonaten. Die Monodien und Triller Bielers scheinen aus dem Nichts zu entstehen oder in ihm zu verschwinden. Ihr Ton ist warm und lyrisch und schafft durch starke dynamische Akzentuierung Lebendigkeit dort, wo andere Solisten eher zu einer kühlen und spröden Interpretation neigen. Selbst in den schroffsten und lautesten Passagen - dies gilt übrigens auch für den Anschlag Tichmans - behält Bieler eine geschmeidige, eher "weiche" Tongebung bei, was von großer technischer Perfektion zeugt.
Eine ihrer Kollegin entsprechende Variationsbreite hat Nina Tichman hinsichtlich Anschlag und Klangfarbe zu bieten. Niemals klingt ihr Anschlag hart und dynamisch undifferenziert, obwohl der Klavierpart häufig genug perkussiv konzipiert ist. Auch in ihrem Spiel dominiert ein weicher, auf größtmögliche Differenzierung der Klänge hinzielender Charakter. So läßt sie beispielsweise die Begleitakkorde im Adagio der 1. Sonate nicht nüchtern-blockhaft aufeinanderfolgen, sondern fächert ihren Klang arpeggierend auf. Fasziniert und ergriffen lauscht man dieser Interpretation und ihrer technischen Wiedergabe, die den Hörer ganz neue Facetten der Bartökschen Violinsonaten entdecken lassen.
Martin Rund