Dr. Stefan Drees, 25.11.2011
‚Artist & educator‘: Mit dem Titel dieser bei Coviello erschienenen CD mit Violinkompositionen Paul Hindemiths sind zugleich die beiden Pole beschrieben, die seine Arbeit ganz wesentlich bestimmt haben. Dass künstlerisch hochwertiges Schaffen und pädagogische Intention sich gegenseitig keineswegs ausschließen, sondern dass letztere zugleich auch mit den Ambitionen verbunden sind, künstlerisch Hochwertiges zu schaffen, machen die insgesamt 41 kurzen Duos für zwei Violinen deutlich, die Hindemith für die berühmte Violinschule 'Das Geigen-Schulwerk' (1932) von Erich und Elma Doflein komponiert hat. Vergleichbar den wesentlich bekannteren 44 Duos seines Kollegen Béla Bartók, schafft Hindemith auf engstem Raum unter Ausnutzung oft einfachster technischer Voraussetzungen einfallsreiche Miniaturen, die jenseits ihrer Funktion als Spielliteratur für den Anfängerunterricht von großem Sachverstand und genauem Wissen um die Möglichkeiten der Instrumente zeugen und geigentechnische Probleme genau auf den Punkt bringen.
Die Geigerin Ida Bieler und ihr Kollege Georg Sarkisjan haben sich dankenswerter Weise dieser Stücke angenommen und musizieren sie mit einer mitreißenden, manchmal auch verträumt wirkenden Leichtigkeit. Dabei schaffen es die beiden Interpreten, den musikalischen Charakter der meist nur zwischen 30 Sekunden und einer Minute dauernden Piècen genau zu treffen: Die knappen, oft nur auf einer Phrase oder einer klanglichen bzw. rhythmischen Idee basierenden Einfälle erscheinen als in sich abgerundete Miniaturkunstwerke, deren intonationssicheren und präzisen Vortrag Bieler und Sarkisjan manchmal mit bewusst sparsamer und zurückhaltender Tongebung gestalten, um dann an anderen Stellen geradezu ausgelassen und wild hervorzubrechen oder den Notentext auch mit großer Zartheit auszulegen. Das Ergebnis ist ein Panorama aus ständig wechselnden Perspektiven, die der Hörer als Abfolge prägnant formulierter musikalischer Szenen erlebt.
Einen großer Kontrast zu den Duos bilden die von Bieler eingespielten Sonaten für Violine solo op. 31 Nr. 1 und 2 aus dem Jahr 1924, die den ambitionierten Künstler Hindemith zeigen, der mit seinen solistischen Streicherwerken an das große Erbe der Solosonaten Johann Sebastian Bachs anknüpft. Was die Miniaturen im Kleinen offenbaren, wird hier nun in den größeren Formverläufen der beiden mehrsätzigen Werke bestätigt: Bielers Umgang mit den lyrisch-kantablen, aber auch virtuosen Ausdruckselementen wirkt wie eine Fortsetzung dessen, was man vorher im kammermusikalischen Dialog gehört hat. Mit langem Atem und großer Ausdruckskraft entfaltet sie Werkteile wie den abschließenden Variationssatz über das Lied 'Komm, lieber Mai' aus der zweiten Sonate oder den langsamen Satz ('Sehr langsame Viertel') der ersten Sonate, voller rhythmischer Raffinesse und vielschichtigem Zugang zu den dynamischen Möglichkeiten der Musik steckt ihr Spiel dagegen beispielsweise in den Rahmensätzen von op. 31 Nr. 1. Insgesamt ist hier eine höchst gelungene Aufnahme entstanden, die gerade auch durch das Gegeneinander der beiden Werkgruppen überzeugt.
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